Jörg H. Gleiter

Gleiter_Nietzsche
Nietzsches Schreibmaschine und die Blödelgedichte

Nietzsche war der erste Philosoph, der auf der Schreibmaschine seine Schriften verfasste. Im Herbst 1881 konnte Nietzsche das Eintreffen der in Dänemark bestellten Malling Hansen kaum erwarten. Er war fest entschlossen, von der Handschrift auf die Schreibmaschine umzustellen. In einem Brief an seinen Freund Heinrich Köselitz kündigte er an, ein letztes Mal „die Feder zur Hand [zu nehmen], um das letzte Manuscript zu machen“. Die Hoffnungen, die sich für Nietzsche mit der modernen Maschinenkultur verbanden, zeigen sich darin, dass er nur drei Tage nach seinem Brief an Köselitz eine noch weitergehende Mechanisierung seiner Arbeit vorstellen konnte, denn „nach der Schreibmaschine wäre eine Vorlesemaschine eine sehr schöne Erfindung“.
Im Februar 1882 traf die Malling Hansen endlich ein. Sie hatte den pensionierten Professor zwei Monatsgehälter gekostet. Nietzsche war aber in aller Naivität davon überzeugt, dass die Maschine seine Arbeit erleichtert würde. Er konnte nicht ahnen, dass die Maschine sich nicht damit begnügen, sondern tatsächlich in sein Denken eingriffen und dieses verändern würde. Die Schreibmaschine manipulierte sein Denken, anstelle ernsthafter philosophischer Gedanken brachte er nur Blödelgedichte aufs Papier.
„GLATTES EIS EIN PARADEIS, FUER DEN DER GUT ZU TANZEN WEISS“, schrieb Nietzsche am 17. Februar. Nachweislich sind das die ersten Zeilen, die er in die Maschine hämmerte. Einige Zeilen später dann: „NICHT ZU FREIGEBIG: NUR HUNDE SCHEISSEN ZU JEDER STUNDE“[1]. Und es ging so weiter. „AUCH ROST THUT NOTH – SCHARFSEIN IST NICHT GENUNG: SONST SAGT MAN STETS VON DIR: ER IST ZU JUNG“. Oder: „HIER ROLLTE GOLD HIER SPIELTE ICH MIT GOLDE, IN WAHRHEIT SPIELTE GOLD MIT MIR – ICH ROLLTE!“ Nietzsche trug sich mit der Absicht, seine mühsam auf der Maschine festgehaltenen Erkenntnisse in einem eigenen Band zu publizieren. Erhalten ist sein Entwurf zu „500 AUFSCHRIFTEN AUF TISCH UND WAND. FUER NARREN VON NARRENHAND“[2].
Nietzsches Beziehung zur Schreibmaschine sollte kaum sechs Wochen dauern. Er wird ihr überdrüssig, sie wiederum verweigert ihm den Dienst. Schon am 24. März schrieb Nietzsche die letzten Zeilen auf der Maschine. „Das verfluchte Schreiben! Aber die Schreibmaschine ist seit meiner letzten Karte unbrauchbar; das Wetter ist nämlich trüb und wolkig, also feucht: da ist jedes Mal der Farbenstreifen auch feucht und klebrig, so dass jeder Buchstabe hängen bleibt, und die Schrift gar nicht zu sehn ist. Überhaupt!“[3]
Mit diesem rätselhaften Überhaupt ging Nietzsches stürmische Beziehung zur modernen Maschine zu Ende. Das wurde von existentiellen Zweifeln begleitet. Nietzsche zog eine Parallele zwischen der Maschine und seiner Freundin Lou von Salomé, zu der seine Beziehung ebenso stürmisch war, wie sie ebenso abrupt endete. Die Schreibmaschine habe einen „Knacks“, so Nietzsche, „wie Alles, was charakterschwache Menschen eine Zeitlang in den Händen haben, seien dies nun Maschinen oder Probleme oder Lou’s.“[4] Nietzsche gestand sich eine „Charakterschwäche“ ein. Die Schreibmaschine stürzte Nietzsche in eine Krise auf drei Ebenen: Die Modernität („Maschinen“), die Philosophie („Probleme“) und seine Beziehung zu Frauen („Lou’s“).
Die Schreibmaschine wie auch seine Beziehung zu Lou von Salomé waren Nietzsches letzte Versuche, sich auf das Leben in seiner ganzen Fülle einzulassen und in aktiver Tätigkeit an ihm teilzunehmen. Spätestens mit dem dramatischen Scheitern der Beziehung zu Lou von Salomé im Herbst 1882, das sich schon im Frühjahr abgezeichnet hatte, blieb dann nur noch der Rückzug auf die eigene Person. Als dann im Februar 1883 Richard Wagner in Venedig verstarb, zog sich Nietzsche völlig zurück. Der Rest ist Nachdenken über die Welt, das das Leben selbst nicht mehr berührt.
[1] Brief an Heinrich Köselitz vom 17. Februar 1882, in: Friedrich Nietzsche, Schreibmaschinentexte, hrsg. v. Stephan Günzel und Rüdiger Schmidt-Grépály, Weimar 2002, S. 17.
[2] Friedrich Nietzsche, Schreibmaschinentexte, a. a. O., S. 41.
[3] Brief vom 27. März 1882 an Elisabeth.
[4] Brief vom 27. April 1883 an Elisabeth.
© Jörg H. Gleiter, 2015
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